Dietrich Schön – Von der Synthese zwischen Natur und Schwerindustrie

Italiano

von Andrea B. Del Guercio

Kaleidoskop Freiburg, 2017

Zum ersten Mal begegnete ich Dietrich Schön im Morat-Institut für Kunst und Kunstwissenschaft in Freiburg; dort nahm ich zum ersten Mal seine Gusseisen-Skulpturen im Außenbereich des Instituts zur Kenntnis und trat in einen Dialog mit den großen Zeichnungen in den Ausstellungssälen: Die zweite Begegnung fand in der post-industriellen Atmosphäre seines Ateliers statt, in dem die Werke aus unterschiedlichsten Schaffensperioden des Künstlers in ein geradezu spektakuläres Licht getaucht
waren. In diesem stark von diversen Arbeitsprozessen, unter anderem von der Metallbearbeitung, geprägten Ambiente bestätigte sich nicht nur der Eindruck, den ich bei der ersten Begegnung gemacht hatte, sondern es offenbarten sich auch die in letzter Zeit von Schön erarbeiteten sprachlich-visuellen Entwicklungs- und Lösungsansätze.  Nach der ersten Begegnung folgte
eine ausführlichere Beschäftigung mit dem Werk des Freiburger Bildhauers, diese Beschäftigung ist die Grundlage des folgenden kritischen Beitrags und meines Interesses für sein Werk.  Der Katalog und der Dietrich Schön gewidmete Bildteil lässt zu Recht darauf schließen, dass die Auswahl der Werke speziell zu diesem Zweck vorgenommen wurde, dass Kurator
und Künstler einvernehmlich eine Wahl getroffen haben: Diese fiel auf zwei eng miteinander verknüpfte Perioden seiner bildhauerischen Arbeit, wobei die Skulpturen von einer Reihe großformatiger, mittlerweile auch polychromer Zeichnungen ergänzt werden, die deren Ausdruckskraft noch zusätzlich unterstreicht. Bildhauer fühlen sich immer wieder zur zweidimensionalen Bildfläche hingezogen, doch Schöns jüngsten Werken wohnt eine eigene und eigenständige Spannung inne, sie weisen in keiner Weise die Merkmale und Charakteristika einer „Vorstudie“ auf: Die großen, mit festem Strich und ohne jeglichen gestischen Kontrollverlust bemalten Flächen bewahren und fächern die Kraft und Intensität der Energie auf, in der Freud und Leid und große Lebenslust koexistieren. Die Gemälde werden ohne Rahmen ausgestellt, sie liegen teilweise am Boden, wie Teppiche in einem Laden (eine kuratorische Maßnahme, die einen nahezu physischen Zugang zur Kunst ermöglicht), aus diesem Grund kann man die großen Zeichnungen unter anthropologischen Aspekt betrachten.  Im Lichte dieser Feststellungen und eines derart intensiven und soliden künstlerischen Klimas empfiehlt es sich, das
bildhauerische Schaffen Schöns seit den 2000er Jahren neu zu bewerten; Festzustellen ist, dass die Kompaktheit der frühen Skulpturen im Spannungsverhältnis zwischen einer zurückgehaltenen und nach innen gerichteten Energie und einer nach
außen gerichteten Bewegung stehen; sie oszillieren zwischen Eingesperrtsein und Beharren einerseits und Beziehungen zur Außenwelt andererseits. Bei den frühen Skulpturen fallen vorstehende Arme auf, die ein in der Materie verstecktes Potenzial
zu beschützen scheinen, die neueren Skulpturen hingegen stellen Oberflächen wie von Schmetterlingspuppen zur Schau, die sich in florale Gebilde verwandeln, ohne dabei das Monumentale zu verlieren, das vom Gewicht des Gusseisens nahegelegt
wird. Ich beglückwünsche Dietrich Schön zu seiner künstlerischen Entwicklung, vor allem möchte ich darauf hinweisen, wie deutlich die Unabhängigkeit jeder einzelnen Skulptur in Bezug auf ihre Umgebung ist: Es existiert zwar eine Beziehung zu
und ein Interesse für das Materielle, ein Bemühen, ein Gleichgewicht zwischen den Formen der natürlichen Welt und jenen der Schwerindustrie herzustellen, doch jede Skulptur führt ein Eigenleben, erklärt sich aufgrund der ihr innewohnenden angeborenen Ausdruckskraft als unabhängig. Der ästhetische Wert der Skulpturen Dietrich Schöns wird noch zusätzlich ergänzt und bereichert durch die Patina des Gusseisens, durch die gleichmäßig verteilten herbstlichen Braun- und Rottöne des Rosts: Die Ausdruckskraft des Gusseisens, einem Zeugen der modernen Industriekultur, wird auf anthropologischer Ebene durch die Spuren ergänzt, die jedes Objekt auf seiner Oberfläche trägt wie Falten: Kratzspuren, Schrammen, ausgebleichte Stellen